Barbara Flückiger (2001)

Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films

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Marburg: Schüren. 2001, 2. Auflage 2002, 3. Auflage 2006, 4. Auflage 2010, 5. Auflage 2012.

Mitte der 70er Jahre begann sich das ästhetische Vokabular des Filmtons auffällig zu verändern. Plötzlich sausten kreischende Jets über die Köpfe des Publikums und Hubschrauber durchflogen alle vier Quadranten des Kinoraums. Neu erschienen auch das Dolby-Stereo-Logo und die Berufsbezeichnung Sound Designer auf der Leinwand. Eine Generation von tonbesessenen Regisseuren wie Francis Ford Coppola, George Lucas oder Martin Scorsese hatte das suggestive Potenzial des totalen Sound erkannt.

Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films analysiert die jüngsten klangästhetischen Entwicklungen des amerikanischen Mainstreamfilms. Das Buch durchleuchtet Konventionen und scheinbare Selbstverständlichkeiten und öffnet den Zugang zur komplexen Architektur der filmischen Tonspur.

Inzwischen hat sich Sound Design von Barbara Flückiger im deutschen Sprachraum sowohl bei Praktikern wie auch bei Theoretikern als Standardwerk etabliert und ist deswegen bereits in fünfter Auflage erschienen.

520 S., Klappbroschur, viele, zum Teil farbige Abb., CHF 57.90 / EUR 34
ISBN 3-89472-506-0


Synopsis

Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films ist als Forschungsprojekt des schweizerischen Nationalfonds entstanden ist, befasst sich mit der Veränderung der Klangästhetik im Zeitraum von 1975 bis 1995. Ihre Zielsetzung lässt sich folgendermaßen beschreiben: Konventionen und scheinbare Selbstverständlichkeiten der Tonspuren zu durchleuchten, ihre Funktionen als Bedeutungsträger zu verstehen und die komplexe Architektur einer virtuellen Klangwelt verständlich zu machen.

Als Grundlage der systematischen Erforschung diente die exakte datenbankgestützte Analyse eines Korpus von 96 Filmen vorwiegend der US-amerikanischen Mainstreamproduktion. Das Augenmerk richtete sich dabei auf das Sound Design, die kompositorische Arbeit mit jenen Elementen der Tonspur, die man alltagssprachlich als Geräusche bezeichnet und für die der Komponist Pierre Schaeffer den Begriff Klangobjekt (objet sonore) geschaffen hat. Neben der Frage nach den narrativen und ästhetischen Funktionen der Klangobjekte wurde die strukturelle Organisation des Reizmaterials auf der Basis von Hypothesen aus der Wahrnehmungspsychologie und der Psychoakustik messtechnisch geprüft. Interviews mit einigen der maßgebenden Sound Designer in den USA klärten das Verhältnis von technischer Innovation und ästhetischer Produktion.

Der Aufbau der Arbeit trägt dem weit gestreuten methodischen Instrumentarium Rechnung. Im Stil eines Handbuchs werden die Themen komplett und in sich abgeschlossen so behandelt, dass jeweils die theoretische Basis in direkter Nachbarschaft zu den entsprechenden Forschungsergebnissen ausgebreitet wird. Ausgehend von diesem Konzept gliedert sich die Arbeit in fünf Teile mit folgenden thematischen Schwerpunkten:

Teil 1 Prämissen beinhaltet zwei vorbereitende Kapitel, die sich mit den technischen Entwicklungen und Formaten sowie dem Transformationsprozess der Tonaufzeichnung im Zeitalter der virtuellen und abstrakten Klangproduktion befasst.

Die semantischen Dimensionen des Klangobjekts stehen im Zentrum von Teil 2 Aspekte der Bedeutung. Dazu gehören die Identifikation von Klangobjekten, die Ton/Bild-Beziehung sowie semantische Systeme höherer Ordnung, sogenannte Superzeichen wie Leitmotive, Symbole oder Stereotypen.

Der dritte Teil Klanglichkeit umfasst die psychoakustischen Merkmale der Verarbeitung von einzelnen Reizdimensionen, die Wahrnehmung komplexer Klangmuster unter den Gesichtspunkten Aufmerksamkeit und Selektion sowie die Untersuchung der Techniken der Verfremdung und der Musikalisierung von natürlichem Klangmaterial.

Im vierten Teil stelle ich einige Narrative Funktionen der Klangobjekte vor: die Orientierungsfunktion der Tonspur hinsichtlich der Definition von geographischen, sozialen und kulturellen Settings; die Verwendung spezifischer klingender Materialien -- hauptsächlich Wasser, Metall, Wind und Glas -- zur Darstellung einer Figur-Umwelt-Relation und schließlich die zahlreichen fein abgestuften Subjektivierungen, welche das klangliche Universum oder einzelne seiner Teile aus der Wahrnehmungsperspektive von Filmfiguren darstellen.

Teil 5 Modellanalysen schließlich beschreibt mit dem erarbeiteten analytischen Instrumentarium drei komplementäre Gestaltungsstrategien anhand von ausgewählten Szenen aus den Filmen Jurassic Park (USA 1992, Steven Spielberg), The Silence of the Lambs (USA 1991, Jonathan Demme) und The Right Stuff (USA 1983, Philip Kaufman).

Die Forschungsarbeit hat eine Reihe von neuen Einsichten gezeitigt:

  • Eine deutliche Zunahme von akustischen Subjektivierungen in fein differenzierten Abstufungen;
  • die exzessive Verwendung entlegener Frequenzbereiche (unter 80Hz und über 4000Hz);
  • der bewusste Einsatz von undefinierbaren Klangobjekten zur gezielten Verunsicherung des Rezipienten und zur Spannungssteigerung;
  • eine sehr feine Ausgestaltung der materiellen Eigenschaften auf der Tonspur, insbesondere in Genres mit fantastischem Charakter oder zur Darstellung von psychischer Fragilität der Protagonisten;
  • die Gestaltung kompletter akustischer Szenographien mittels zeichenhaft überhöhter Klangobjekte;
  • das Verlassen der angestammten Altarfunktion des Films durch Verwendung von exzessiver Lautstärke, die den Rezipienten nach einfachem Reiz-Reaktions-Muster überwältigt und direkte, kognitiv nicht zu kontrollierende vegetative Reaktionen auslöst;
  • die Emanzipation der akustischen von der optischen Repräsentation, die sich unter anderem darin äußert, dass zentrale Figuren, Situationen oder Schauplätze rein klanglich exponiert werden, in der Annahme, dass der medienkundige Rezipient auch komplexe Reizangebote entschlüsseln kann;
  • die Erweiterung des Klangraums in alle vier Quadranten des Kinoraums und die Plastizität der geometrischen Ton/Bild-Beziehung.